Die Tragik der Unsichtbarkeit: Wenn Weisheit im Algorithmus stirbt
Was nützt Wissen, wenn es niemand findet? Diese Frage mag banal klingen, doch sie hat für mich und meine Familie eine schmerzhafte Realität angenommen. Ich spreche von der unsichtbaren Barriere, die meine Blogbeiträge davon abhält, in den Tiefen des Internets aufzutauchen – nicht durch Zensur im klassischen Sinne, sondern durch die gnadenlose Logik der Algorithmen.
Der „FFF-Modus“ der Algorithmen
In meinem jüngsten Blogbeitrag habe ich über den „FFF-Modus“ (Fight, Flight, Freeze) gesprochen, in dem sich die Menschheit andauernd zu befinden scheint, und dem gegenüber den „RR-Modus“ (Rest and Recover) gestellt, der eigentlich der Lebensmodus sein sollte. Eine gesunde Gesellschaft bräuchte Raum für Reflexion, Tiefe und unkonventionelles Denken.
Doch die Algorithmen der großen Suchmaschinen scheinen genau das Gegenteil zu fördern. Sie sind darauf optimiert, was viele Menschen anklicken, teilen und schnell konsumieren können: das Laute, das Bunte, das Emotionale, das Reaktivierende. Das ist der „Affengeist“, der rennt. Wie Jaron Lanier, einer der schärfsten Kritiker der Tech-Giganten, es beschreibt, optimieren diese Algorithmen unser Verhalten oft in Richtung einfacher, reaktiver Muster. Weisheit hingegen – die stille, oft unbequeme Erkenntnis, die Zeit und Kontemplation erfordert – hat es schwer. Sie ist nicht „viral“, sie ist nicht sofort „klickbar“.
Und genau hier liegt die Ironie und die Tragik: Der Google-Algorithmus wird so zu einem „Verdummungs-Optimierer“. Er pusht, was schon populär ist, zementiert den Mainstream und drängt das Tiefe an den Rand. Diese Beobachtung deckt sich mit den Argumenten von Nicholas Carr, der in seinem Buch „Wer bin ich, wenn ich online bin…“ detailliert beschreibt, wie die Struktur des Internets unsere Fähigkeit zu tiefem Denken untergräbt. Auch Prof. Dr. Gerald Lembke warnt vor der zunehmenden Oberflächlichkeit des Wissens im digitalen Zeitalter. Das ist keine bewusste Zensur, aber eine strukturelle Marginalisierung, die nicht nur für mich, sondern gesamtgesellschaftlich ein beängstigendes Bild zeichnet. Es geht über eine „neutrale“ Filterung hinaus – es ist eine aktive Abwertung von Inhalten, die nicht ins Muster passen.
Die bittere Ironie der Unsichtbarkeit
Ich investiere Herzblut in meine Blogbeiträge. Ich entwickle systemische Ansätze, die meiner ALS-kranken Frau bereits spürbar helfen, neue Möglichkeiten eröffnen und ihren Alltag erleichtern. Ob das zur „Heilung“ führt, wissen wir nicht. Aber es sind Gedanken und Ansätze, die aus einem tiefen, persönlichen Engagement entstanden sind und für andere Betroffene oder Angehörige von unschätzbarem Wert sein könnten.
Doch diese Beiträge werden nicht indexiert. Sie bleiben unsichtbar. Man findet sie nicht, selbst wenn man explizit danach sucht. Der Algorithmus, der das Tor zum Wissen sein sollte, versperrt den Weg genau zu den Inhalten, die vielleicht am dringendsten gebraucht würden – weil sie zu unkonventionell, zu nischig, zu „unpopulär“ für seine kalte Logik sind.
Das Dilemma der Zeit
Für mich, der meine Frau pflegt, ehrenamtliche Kurse gibt und einen Haushalt führt, ist der „RR-Modus“ ein Luxus. Und die Vorstellung, dass ich noch Stunden und Tage in „Netzwerken“, Social-Media-Marketing oder das mühsame „Überlisten“ der Algorithmen investieren müsste, nur damit meine potenziell lebensverändernden Inhalte überhaupt gefunden werden, ist absurd. „Dafür habe ich keine Zeit!“ Es ist eine unüberwindbare Barriere, die das System für Menschen wie mich errichtet.
Das macht KI-Werkzeuge, die als „Entlastung“ beworben werden, in meinem Alltag oft zu weiteren Zeitfressern. Wenn ich Texte so stark nachbearbeiten muss, dass ich sie gleich selbst schreiben könnte, oder wenn ein vermeintlicher „Agent“ doch ständige menschliche Aufsicht erfordert, wird aus der Entlastung eine zusätzliche Bürde. Die Hoffnung auf einen autonomen „Bürokommunikationsassistenten“, der Marketing, Forenpräsenz und Vernetzung eigenständig regelt, stößt an die Grenzen der aktuellen Technologie – insbesondere, wenn es um die unverzichtbare menschliche Nuance in der Kommunikation geht.
Was das für uns alle bedeutet
Meine persönliche Erfahrung ist ein Mikrokosmos eines planetenweiten Problems. Wir haben ein System geschaffen, das potenziell weisheitsvolle, aber unpopuläre Inhalte aktiv marginalisiert. Es bevorzugt das Laute und Schnelle gegenüber dem Tiefgründigen und Reflektierten. Der verstorbene Soziologe Zygmunt Bauman sprach von einer „flüchtigen Moderne“, und die Algorithmen scheinen diese Flüchtigkeit nun digital zu zementieren, während sie Tiefe und Bestandigkeit ablehnen.
Die Zeit, in der der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland bewusst einen Bildungsauftrag erfüllte und auch Weisheit einen Platz fand, scheint weit entfernt. Nun haben wir das genaue Gegenteil: Ein informationsreiches Netz, das dennoch die Tiefe verbannt. Und so bleibt die Tragik der Unsichtbarkeit bestehen – für mich, für meine Frau und letztlich für jeden, der nach Erkenntnis abseits des algorithmischen Mainstreams sucht.