Qingjing Jing (清靜經)
Kapitel 1: Die Klarheit des Herzens
Der Geist des Tales stirbt nicht –
er ist das verborgene Weibliche.
Das Tor des Verborgenen –
die Wurzel von Himmel und Erde.
Sanft und endlos fließend,
wirkt es ohne Anstrengung.
Kapitel 2: Die Kraft des Stillen
Wer das Herz umarmt und den Geist sammelt,
bleibt unerschütterlich.
Wer dem Qi erlaubt, seinen Weg selbst zu finden,
erlangt wahrhafte Stärke.
Wer das innere Sehen reinigt,
ohne Makel zu hinterlassen,
erkennt die wahre Klarheit.
Kapitel 3: Die Kunst des Dao
Kannst du dein Herz umarmen
und den Geist sammeln, ohne zu zerstreuen?
Kannst du dein Qi sein lassen
und sanft wie ein Neugeborenes sein?
Kannst du dein inneres Sehen reinigen,
ohne Makel zu hinterlassen?
Kannst du das Volk lieben
und doch nicht lenken?
Kannst du die Tore des Himmels öffnen
und wie eine Frau sein?
Kannst du verstehen,
ohne Wissen zu erzwingen?
Gebäre die Dinge,
ernähre sie,
bringe hervor,
besitze nicht.
Führe, aber herrsche nicht.
Das ist die tiefe innere Kraft.
Kapitel 4: Das Nutzen des Nichts
Dreißig Speichen vereinen sich zur Nabe,
doch die Leere in ihrer Mitte
macht das Rad nützlich.
Man formt Ton zu einem Gefäß,
doch die Leere darin
macht es nützlich.
Man bricht Türen und Fenster in ein Haus,
doch die Leere darin
macht es bewohnbar.
So bringt das Sein Vorteile,
doch das Nichtsein macht es nützlich.
Kapitel 5: Die Sinne und das Herz
Die fünf Farben blenden das Auge.
Die fünf Klänge betäuben das Ohr.
Die fünf Geschmäcker stumpfen den Gaumen ab.
Jagen und Hetzen
verwirren den Geist.
Seltene Güter
verführen zum Irrtum.
Darum hält sich der Weise
an das Innere
und nicht an die Sinne.
Er lässt das Äußere
und wählt das Herz.
Kapitel 6: Lob und Angst
Lob und Schmach
sind gleich zu fürchten.
Große Sorge
entsteht durch den Körper.
Was bedeutet das?
Lob und Schmach
sind eine Last.
Hat man sie erhalten,
fürchtet man sie zu verlieren.
Hat man sie verloren,
fürchtet man, sie nicht zurückzuerlangen.
Warum ist große Sorge
an den Körper gebunden?
Weil wir einen Körper haben,
machen wir uns Sorgen.
Geben wir den Körper auf,
haben wir nichts mehr zu fürchten.
Darum:
Wer sich selbst für die Welt hingibt,
dem kann man die Welt anvertrauen.
Wer die Welt liebt wie sich selbst,
dem kann man sie überlassen.
Kapitel 7: Das Unsichtbare
Man schaut es an,
doch es ist nicht zu sehen – es ist das Unsichtbare.
Man hört es,
doch es ist nicht zu hören – es ist das Unhörbare.
Man greift danach,
doch es ist nicht zu fassen – es ist das Unfassbare.
Diese drei kann man nicht durchdringen,
und doch verschmelzen sie zu einem.
Oben nicht hell,
unten nicht dunkel,
unaufhörlich strömend,
kehrt es ins Formlose zurück.
Man nennt es die Form des Formlosen,
das Bild des Nichtseins.
Man begegnet ihm nicht von vorn,
man folgt ihm nicht von hinten.
Doch wer im Einklang mit dem Dao lebt,
der versteht den alten Ursprung.
Das ist der Faden des Dao.
Kapitel 8: Die alten Meister
Die alten Meister des Dao
waren tiefgründig und verborgen.
Ihr Wissen war unergründlich.
Weil sie nicht zu erfassen waren,
kann man sie nur beschreiben:
Vorsichtig, als gingen sie über dünnes Eis.
Achtsam, als fürchteten sie Nachbarn.
Zurückhaltend, als seien sie zu Gast.
Fließend, wie schmelzender Schnee.
Schlicht, wie unbearbeitetes Holz.
Weit, wie ein Tal.
Unklar, wie trübes Wasser.
Wer kann trübes Wasser klären?
Lass es ruhen,
und es wird klar.
Wer kann zur Ruhe kommen?
Lass Bewegung geschehen,
und Klarheit wird entstehen.
Wer dem Dao folgt,
sucht keine Fülle.
Weil er nicht über sich hinausgeht,
bleibt er unversehrt.
Kapitel 9: Rückkehr zum Ursprung
Erreiche das Äußerste der Leere,
bewahre vollkommene Stille.
Die Dinge entstehen ringsum,
ich sehe, wie sie zurückkehren.
Alles kehrt zu seiner Wurzel zurück.
Rückkehr zur Wurzel ist Stille.
Stille ist Rückkehr zum Ursprung.
Rückkehr zum Ursprung ist das Dao.
Wer das Dao erkennt, ist erleuchtet.
Wer es nicht erkennt, ist verloren.
Wer das Dao erkennt,
ist nachsichtig.
Nachsicht führt zur Ganzheit.
Ganzheit führt zur Harmonie mit dem Himmel.
Harmonie mit dem Himmel führt zum Dao.
Das Dao führt zur Dauer.
Wer sich dem Dao hingibt, vergeht nicht.
